Die Sauna ist in Estland mindestens so wichtig wie in Finnland. Und auch hier ist die Rauchsauna ist die älteste Art der Sauna. Als ich im Oktober in Tallinn war, durfte ich eine ganz besondere Rauchsauna besuchen. Die steht im Garten von Adam und Anni.
Immer samstags können Gäste kommen. Die Rauchsauna sieht aus wie ein Iglu aus Holzschindeln. Es ist ein modernes estnisches Design, sogar in Finnland wird diese Sauna verkauft. Und auch David Beckham hat sich genau diese Sauna gekauft – außen modern, innen traditionell!
Als ich ankomme, ist Adam schwer beschäftigt, denn er heizt den Ofen an. Bevor man den Kamineffekt kannte, wurde der Ofen angeheizt, der Rauch füllte den Raum und hat ihn gleichzeitig gereinigt. Er begrüßt mich freudig: „Mein Name ist Adam Rang, ich wohne hier, das ist mein Zuhause. Wir sind stolz, dass wir hier eine Rauchsauna haben, und wir freuen uns, dass du hier bist. Ich sollte vielleicht noch sagen, dass ich Este bin, aber nicht estnisch klinge. Meine Familie hat Estland vor gut 70 Jahren verlassen. Ich bin vor drei Jahren hierher gekommen und jetzt nehme ich die Verbindung zu meinen Estnischen Wurzeln auf – und ein Teil davon ist die Sauna.“
Eine Rauchsauna ist viel Arbeit. Nix mit: Schalter umdrehen, warten und rein. Nein, hier wird der Ofen mit Holz geheizt, ganze vier Stunden dauert es. Dadurch werden die riesigen Steine im Ofen durch und durch heiß. Dann wird gründlich durchgelüftet, so dass der Rauch abzieht. Adams Freundin Anni macht jetzt den ersten Aufguss „Karm“: „Wenn die Sauna beheizt ist, und das Feuer im Ofen aus ist, wird der Rauch rausgelüftet. Und auch der erste Aufguss wird rausgelüftet. Auf den Steinen liegt die Asche, die wird so abgewaschen, bevor dann die Leute reinkommen.“
Es brennt in den Augen, Aschepartikel wirbeln durch die Luft. Und wenn Anni mit dem Reinigungsaufguss „Karm“ fertig ist und der Rauch rausgelüftet ist, halten die Steine die Wärme – oder vielmehr die Hitze – ganze vier Stunden!
Und dann ist es endlich soweit. Wir haben uns ausgezogen und sitzen auf den Holzbänken in der Sauna. Die Holzwände sind schwarz vom Ruß. Eine angenehme, weiche Wärme umgibt mich. Nicht nur die Wärme vom Saunaofen, sondern auch eine menschliche Wärme. Adam und Anni sind mir sofort sympathisch. Sie erzählen gern von sich. Die Rauchsauna wollen sie Freunden und auch Fremden näherbringen, immer samstags kann man sie buchen und mit dem Pärchen schwitzen und ratschen. Ratschen ist nämlich ein wichtiger Bestandteil in der Sauna. Ganz anders als hier in Deutschland. Anni hat ein Semester in Hamburg studiert. Und die Sauna vermisst. „Weil es nicht so verfügbar war wie hier in Estland, in deinem Zuhause. Die deutsche Sauna-Kultur ist auch komplett anders als ich es von daheim kenne. Das gibt’s da nicht. Und als ich zurückkam, ging ich hier sehr oft in die Sauna.“
Ursprünglich diente die Sauna vor allem der Körperhygiene. Es ist eine alte Tradition in Estland, und Anni, die hier in Tallinn aufgewachsen ist, war schon als Kind zum ersten Mal in der Sauna. An ihren ersten Besuch kann sie sich – wie viele ihrer Landsleute – nicht erinnern. Wenn die Gäste aus aller Welt kommen, ist es anders. Die wissen sofort, wann sie zum ersten Mal in einer Sauna waren. Es ist ein bewusstes Erlebnis, oft mit gemischten Gefühlen. Und ich kann da gut zustimmen: Ich kann mich nämlich auch gut an meinen ersten Sauna-Besuch erinnern. Da war ich 17. Inzwischen hat Anni aber einen Aufguss – Leil – gemacht.
Das ist hier in Estland auch komplett anders als ich es aus Deutschland kenne, es ist wie in Finnland. Keine Show, kein Handtuchgewedel. Mit einer langen Schöpfkelle lässt Anni das Wasser auf die Steine klatschen – und dann zischt es herrlich. Wir lauschen gebannt. Und genießen den Dampf, der sich langsam von oben auf uns legt. Und dann hat Anni noch etwas, ohne das die Esten nicht in die Sauna gehen: Bündel aus Birkenzweigen. Die stecken mit den Blättern voran in einem Wassereimer. Anni zieht das Bündel heraus, lässt sie über den heißen Steinen abtropfen. Ein betörender Duft erfüllt die Sauna. Der Frühlingswald hält Einzug. Doch es kommt noch besser! Ich bekomme auch ein Bündel und Anni zeigt mir, wie man sich damit auspeitscht.
Sie schlägt sich mit dem Bündel auf den Arm, von der Hand aufwärts zur Schulter. Dann die andere Seite. Und dann von den Füßen über die Waden zu den Oberschenkeln. Die ätherischen Öle aus den Birkenblättern verteilen sich im Raum. Es riecht unbeschreiblich! Blätter fliegen auf den Boden, es klatscht auf der nassen Haut. Jetzt probiere ich es auch. Anfangs fühlt es sich seltsam an. Doch nach 2 bis 3 Schlägen komme ich in den Genuss. Es tut gut! Es regt die Durchblutung an. Und gleichzeitig dieser Birkenduft. Direkt aus den Blättern, nicht von einer künstlichen Essenz. Wir schauen auch nicht auf die Uhr, sondern bleiben so lange in der Sauna, wie es sich gut anfühlt.
Und irgendwann ist es einfach zu heiß! Ich schnappe mir mein Handtuch und gehe raus. Direkt an die frische Luft, in den Garten. Durchschnaufen. Schön! Anni und Adam haben auch so einen riesigen Holzzuber. Eigentlich könnte man das Wasser da auch beheizen, aber sie nutzen es lieber zum Abkühlen.
Eine gute Idee – und schon bin ich im Wasser! Ich bleibe ein bisschen sitzen, warte, bis sich mein Puls beruhigt und gehe dann wieder raus. Am Gartentisch hat Anni selbstgemachten Beerensaft, Wasser, Brot und Kräuterbutter bereitgestellt. Wir setzen uns und Adam erzählt von seiner Familie, die 1944 aus Estland nach England geflohen ist. Adam ist in Sussex aufgewachsen. Estnisch hat er in England nicht gelernt. „Mein Estnisch ist schlecht. Mein Vater hat es nie gelernt. Und als sein Vater nach Großbritannien kam … die baltischen Flüchtlinge haben hart gearbeitet, um beim Wiederaufbau Englands zu helfen. Deshalb war mein Großvater nicht daheim, um die Sprache weiterzugeben, also hat mein Vater kein Estnisch gelernt und ich auch nicht. Aber wir waren Estland die ganze Zeit verbunden, weil wir an die Unabhängigkeit geglaubt haben. Und jetzt lebe ich in Estland und ich hab sprachlich einiges aufzuholen. Estnisch ist eine schöne, aber unglaublich schwierige Sprache. Ich lerne es und meine Freundin Anni hilft mir dabei.“
Annis Familie ist nicht ausgewandert. Aber mit Adams Familiengeschichte fügt sich für die 28-Jährige ein weiteres Puzzleteil in die Geschichte ihres Landes: „Meine Familie ist geblieben, meine beiden Großväter wurden nach Sibirien deportiert und das sind Geschichten, die jeder hier hat. Als ich Adam kennengelernt habe, lernte ich den anderen Teil der Geschichte kennen: Was ist mit denen passiert, die geflohen sind? Jetzt vervollständigt sich das Bild, das finde ich sehr interessant.“
Adam ist jetzt 32 Jahre alt. Er fühlt sich in Estland nicht nur zuhause, er arbeitet sogar für die estnische Regierung. Sein Job: Das Programm „e-residency“ bekannter zu machen. E-residency heißt, kurz gesagt, dass man ein virtueller Bürger Estlands werden kann, um dann die Dienstleistungen der estnischen Regierung in Anspruch zu nehmen. Zum Beispiel, wenn man ein Start-Up gründen will. Hier ist Estland mal wieder Vorreiter. Und auch wenn Adams Arbeit sehr zukunftsorientiert ist, denkt er viel darüber nach, wie sich Europa in den letzten 30 Jahren verändert hat. Denn diese Veränderungen haben das Leben von ihm und seiner Familie in unterschiedlicher Weise betroffen: „Als mein estnischer Großvater 1982 starb, gab’s kaum Hoffnung auf estnische Unabhängigkeit. Aber wie es so ist, es passieren seltsame Sachen und die Welt ändert sich und jetzt ist Estland wieder ein freies Land und wir können wieder hier leben und ein gutes Leben genießen. Wir hoffen, dass es so bleibt.“
Estland bietet viele Möglichkeiten, die Enkelgeneration findet Arbeit in der IT-Branche, viele Jobs sind englischsprachig. Und während es für Adam hier in Estland gut läuft, steht das Land, in dem er aufgewachsen ist, mit dem Brexit vor ganz eigenen, großen Problemen. „Als ich meinen Estnischen Pass bekommen habe, haben mich die Leute in Großbritannien ausgelacht: Was willst du damit? Was kann der? Und vor ein paar Jahren haben wir gewitzelt, was wäre, wenn Großbritannien aus der EU austritt. Und ich dachte, dann wäre der estnische Pass ganz nützlich. Jetzt macht keiner mehr Witze und meine estnische Staatsbürgerschaft ist unglaublich wertvoll. Aber ich bin wirklich stolz, dass ich sie habe und in Estland lebe.“
Wir gehen jetzt noch mal in die Sauna und genießen die Wärme und die wohlige Stimmung. Zum 100. Geburtstag wünscht sich Adam für Estland, dass es bekannter wird: „Als ich ein Kind war, hatte kaum jemand was von Estland gehört, besonders in Großbritannien und anderen Teilen der Welt. Und wir sagen oft, je mehr Menschen uns auf der Landkarte finden können, desto schwieriger ist es, von der Landkarte gewischt zu werden. Immer mehr Menschen entdecken jetzt Estland und mein Wunsch zum Geburtstag Estlands ist, dass uns noch mehr Menschen auf der Weltkarte finden können.“
Dann heißt es für mich leider Abschied nehmen. Aus der Sauna und aus Estland. Ein Land, das trotz der vielen digitalen Dienste mehr ist als nur „Nullen“ und „Einsen“. Das im Grundgesetz den freien Internetzugang für alle verankert hat, in dem man die Steuererklärung online erledigt und in wenigen Klicks eine Firma gründen kann. Das aber trotzdem von Gastfreundschaft und menschlicher Wärme geprägt ist. Und für viele – wieder – zur Heimat wird.
Einen ausführlichen Bericht über Estland habe ich übrigens für die radioReisen von Bayern 2 gemacht. Zu hören diesen Sonntag, 12. Mai 2019, um 13.05 Uhr. Oder allzeit als Podcast.