Monatsarchiv: Juni 2022

Das Freibad als Zuhause, das Schwimmen als Anker

Wenn ich im Sommer an einem schönen, sonnigen Tag nach dem Schwimmen noch im Freibad bin, lese ich gern. Und dann fühle ich mich ein bisschen wie damals als Kind oder Jugendliche, da habe ich am See auch immer gelesen. Besonders schön ist es, wenn das Buch zur Stimmung passt. So war es jetzt: Ich habe von meiner Schwimm-Freundin aus der Olympiaschwimmhalle ein Buch geschenkt bekommen: „Schwimmen mit Rosemary“. Sie meinte, das würde super zu mir passen und gefällt mir gewiss.

Und was soll ich sagen? Ich bin traurig, dass das Buch nach 380 Seiten ausgelesen ist und ich Rosemary, Kate und die anderen in ihrem Freibad in Brixton, einem Stadtteil von London, nicht mehr treffe. Die Geschichte geht vordergründig darum, dass das Freibad schließen muss, die Gemeinde kann es sich nicht leisten, das Angebot eines Investors abzulehnen. Der will aber aus dem altehrwürdigen Freibad einen privaten Fitnessclub machen und die Schwimmbecken mit Beton zuschütten, um darauf Tennisplätze zu errichten. Und ja, leider ist das gar nicht mal an den Haaren herbeigezogen. Im Buch lernen wir die 86-jährige Rosemary kennen, die jeden Morgen im Freibad schwimmt, und Kate, eine junge Journalistin, die über die Schließung berichten soll. Kate ist sehr ängstlich und hat das Schwimmen aufgegeben, weil sie sich im Badeanzug unwohl fühlt. Rosemary will das Interview aber nur geben, wenn Kate mit ihr schwimmt. Und – ich verrate nicht zu viel – Kate fängt tatsächlich an zu schwimmen.

Die Autorin Libby Page schwimmt selbst gern und viel und das merkt man im Buch. Denn immer wieder gibt’s so kleine Beobachtungen, die jeder Schwimmer und jede Schwimmerin kennt: Dass sich einige in der Damensammelumkleide genieren, während andere nackt beieinander stehen, reden und lachen.

Was mir besonders gut gefallen hat: Kate gewinnt durch das Schwimmen Selbstbewusstsein, sie kann sich ihren Panikattacken stellen. An einer Stelle heißt es: „Im Wasser bin ich geborgen.“ Und sie merkt bei der Rettungsaktion für das Freibad auch, dass sie dank Rosemary einen Freundeskreis in der großen, fremden Stadt gefunden hat. Das Freibad wird für Kate zum Zuhause, für Rosemary ist es das schon, sie ging sogar im Krieg dort schwimmen.

Ich habe mich an vielen Stellen im Buch wiedererkannt. Denn auch für mich war das Schwimmen ein Wendepunkt in München. Über die Jahre habe ich im Wasser viele Menschen kennengelernt, manche nur flüchtig, andere sind richtige Freunde geworden. Das Besondere bei den Menschen, die ich nur im Freibad treffe: Wir interessieren uns auch füreinander. Wie war der Winter? Wo sind Sie geschwommen? Ich habe dich länger nicht gesehen. – Das sind so Sätze, an denen ich merke, dass ich gesehen werde, bemerkt werde. Und das ist schön! Und mir geht’s ja auch so, dass ich mich manchmal frage, wo ist der oder die? Oder dass ich mich freue, wenn ich jemanden nach längerer Zeit wieder treffe und wir ein bisschen ratschen. Da fühlt sich die große Stadt nicht mehr so groß, fremd und anonym an. Das Schwimmbad ist eine Art Anker, ein Ort, zu dem ich gehen kann. Und entweder treffe ich auf bekannte Gesichter oder ich schwimme allein vor mich hin – beides ist auf seine Art gut und schön.

Und dann wären wir bei dem anderen Punkt: „Im Wasser bin ich geborgen“, sagt Kate an einer Stelle im Buch. So geht’s mir auch, das habe ich hier im Blog auch schon thematisiert. Denn besonders aufgefallen ist mir das im Lockdown, als wegen Corona die Bäder so lange geschlossen waren. Da hat mir das Schwimmen gefehlt. Es klappt nicht immer, aber doch oft genug, dass ich im Wasser meine Gedanken abschalten oder sortieren kann, dass ich Ärger vergesse oder auf neue Ideen komme. Ich genieße den Schwebezustand und das Wasserrauschen im Ohr, das die Hektik und den Lärm der Welt ausblendet. So kann ich runterkommen und neue Kraft tanken.

Ich kann euch Wasserratten, Chlorhühnern, Fischen, Fröschen und Enten das Buch nur empfehlen! Es ist ein Feel-good-Buch, das sich am besten im Freibad liest.

Info zum Buch

Libby Page: Schwimmen mit Rosemary, ISBN: 978-3-548-06246-4, Ullstein

Weitere Schwimm-Bücher gibt’s hier.